Offener Brief von Winfried Wolf an MP Kretschmann

Verkehrsexperte Winfried Wolf aus Berlin hat zusammen mit Experten und Prominenten aus dem S21-Widerstand einen weiteren offenen Brief an Ministerpräsident Kretschmann formuliert.

Die Langfassung können Sie als 7-seitiges PDF herunterladen.

Hier die Zusammenfassung:

  1. Die Volksabstimmung vom 27. November 2011 war eine Zäsur. Ihr Ergebnis ist zu respektieren. Es lautet: 41,2 % der Abstimmenden wollen jede Kofinanzierung des Landes beim Projekt Stuttgart 21 ( S21) beenden, 58,8 % bejahen weiter diese Kofinanzierung. Das erforderliche Quorum, damit diese Abstimmung Gesetzeskraft erreicht hätte, wurde deutlich verfehlt. Die Behauptung des Ministerpräsidenten, eine „deutliche Mehrheit der Bevölkerung“ habe sich für S21 ausgesprochen, ist juristisch falsch und politisch undifferenziert. Das Ergebnis lautet auch: CDU, SPD und FDP, die in Baden-Württemberg auch bei der jüngsten Landtagswahl zusammen auf 67,4 % kamen, sprachen sich für S21 aus. Deren „Parteien-Mehrheit“ reduzierte sich in der Volksabstimmung über S21 auf 58,8 %.
  2. Die Bevölkerung war bei der Volksabstimmung unzureichend über S21 informiert. Dazu trug die Landesregierung erheblich bei. Insbesondere nutzten die Grünen und nutzte der grüne Ministerpräsident nicht die Chancen, die sich nach der Regierungsübernahme zur Stärkung des S21-Widerstands auf der juristischen Ebene und hinsichtlich der Information der Bevölkerung boten. Das zeigte sich insbesondere mit dem Informationsheft, das die Landesregierung anlässlich der Volksabstimmung an alle Haushalte sandte. Es wurde zugelassen, dass das Heft nachweislich falsche Informationen der Projektbetreiber enthält, für die die SPD die Hauptverantwortung trägt. Darüber hinaus beeinflussten Repräsentanten der öffentlichen Verwaltung, die zur Neutralität verpflichtet gewesen wären, unsachlich die Meinungsbildung.
  3. Wenige Wochen vor der Volksabstimmung wurde dokumentiert, was Sachverständige seit geraumer Zeit wussten: Stuttgart 21 bringt keine Erweiterung, sondern eine Reduktion der Bahnhofskapazität. Um dies zu verschleiern wurde der Stresstest vom Juli 2011 systematisch manipuliert. Damit gibt es in der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 eine grundsätzlich neue Situation. Die Tatsache der Reduktion der Bahnhofskapazität war der Bevölkerung nicht bekannt. Die Landesregierung informiert darüber bis heute nicht. Den Abbau einer zentralen Schieneninfrastruktur, also eine Zerstörung, zuzulassen, und dafür noch eine gewaltige Summe zu investieren, ist unverantwortlich und inakzeptabel. Ein solcher Abbau stellt, wenn er nicht ausdrücklich genehmigt wurde (was nicht der Fall ist), einen Gesetzesverstoß dar.
  4. Die Bahn und die Bundesregierung wissen, dass mit S21 gegen Recht und Gesetz verstoßen wird. Sie wissen auch, dass das Projekt bereits aus technischen und baurechtlichen Gründen zu scheitern droht. Um jedoch S21 so weit voranzutreiben, dass ein Abbruch des Projekts kaum noch realisierbar ist, um die politische Bewegung gegen S21 zu brechen und ihre weitere Ausstrahlung auf viele vergleichbare Bewegungen im Land zu beenden, setzen sie auf die Politik des Faktenschaffens. Diese Vorgehensweise wurde bereits mit dem Abriss des Nordflügels und dem Fällen erster Bäume im Mittleren Schlossgarten im Sommer und Herbst 2010 brutal praktiziert. Die Politik des Faktenschaffens wird derzeit mit dem Abriss des Südflügels und dem angedrohten Fällen weiterer mehr als hundertjähriger Bäume fortgesetzt.
  5. Die Unterzeichnenden fordern den Ministerpräsidenten auf, das Ergebnis des Volksentscheids nicht zu überhöhen, die neue Lage dem Parlament und der Bevölkerung bekannt zu geben und gemäß dem geleisteten Amtseid, wonach „Schaden vom Volk zu wenden“ ist, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um das zerstörerische Werk der Deutschen Bahn AG zu stoppen.

Dr. Christoph Engelhardt / Dipl. Ing. Klaus Gebhard / Matthias von Hermann / Hans Heydemann / Egon Hopfenzitz / Sigrid Klausmann-Sittler / Wolfgang Kuebart / Rudolf Pfleiderer / Volker Lösch / Dr. Werner Sauerborn / Walter Sittler / Dr. Winfried Wolf